
Empörung über Durchstich
Artikel aus dem Weser-Kurier vom 25.1.2017
Hier geht´s direkt zum Artikel (von Anne Gerling)
Vor rund drei Monaten haben sich die Bewohner des Heimatviertels nach den Bewertungskriterien für das Integrierte Verkehrskonzept Überseestadt erkundigt. Bis heute haben sie keine Antwort bekommen.
Überseestadt. „Wie kann es sein, dass ein Durchstich mit 22 Punkten und die Verlängerung eines Fußwegs mit elf Punkten bewertet wird – eine Brücke aber nur mit sechs Punkten?“ Das fragen sich Hans-Werner Liermann und seine Mitstreiter von der Bürgerinitiative Waller Wied mit Blick auf das Ende September vorgestellte „Integrierte Verkehrskonzept für die Überseestadt“. Insbesondere die in dem Papier enthaltene Maßnahme „S. 8“ – ein „Durchstich“ im Lärmschutzwall, um Nordstraße und Hafenstraße über einen voll ausgebauten Verkehrsknoten miteinander zu verbinden – sorgt bekanntlich seit Längerem im Heimatviertel für Empörung. Eine solche Maßnahme brächte Lärm, mehr Schadstoffe und vor allem noch mehr Stau, sind die Anwohner dort überzeugt.
Anders als die von der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) beauftragten Gutachter – die besonders viele „Nutzungspunkte“ für die ihrer Ansicht nach wirksamsten Maßnahmen zur Verkehrsentlastung vergeben haben – ist man im Heimatviertel der Ansicht, dass insbesondere eine zusätzliche Weserbrücke in Höhe Hansator/Kellogg’s die angespannte Verkehrssituation in der Überseestadt dauerhaft um rund 30 Prozent des Verkehrsaufkommens entlasten könnte, die in einem Bogen vorbei an den Woltmershauser Wohngebieten zur B6 führen würde. Solch ein Bauwerk wäre auch bei der dringend notwendigen Sanierung der Stephanibrücke von großem Nutzen, ist Hans-Werner Liermann überzeugt.
Aber, wie Liermann bedauert: „Da will man gar nicht erst ran.“ Stattdessen werde im Verkehrskonzept der Durchstich zwischen Hafen- und Nordstraße favorisiert – und das ohne nachvollziehbare und schlüssige Argumente. „Seit über drei Monaten versuchen wir, die Bewertungskriterien zu bekommen“, erzählt der Waller. Im Oktober sei er dabei von Planer Rainer Gotzen im Verkehrsressort an Jan Schubert vom Ingenieurbüro für Verkehrsanlagen und -systeme (IVAS) in Dresden verwiesen worden, der das Konzept mit erstellt hat. Dieser habe nach einem ersten E-Mail-Kontakt und mehren Telefongesprächen wiederum auf das Okay von Gotzen gewartet. Schließlich habe sich Hans-Peter Czellnik von der WFB bei ihm gemeldet und mitgeteilt: Die Angaben seien zu komplex, um sie einfach so herauszugeben. Die Bürgerinitiative war daraufhin zu einem Gespräch am 17. Januar eingeladen worden; kurzfristig wurde dieser Termin dann von der WFB vorverlegt. Als es endlich zu dem Gespräch mit Vertretern von WFB, Ingenieurbüro und Stadtplanung kam, sei dabei jedoch kein Wort über die zugrunde liegenden Bewertungskriterien zu erfahren gewesen.
Planung noch in der Frühphase
Dafür gibt es in Liermanns Augen nur eine Erklärung: „Das hat einfach jemand festgelegt, das ist ja aber gar nicht geprüft worden.“ Auch Jupp Heseding (Grüne), der als Vertreter des Waller Beirats bei dem Gespräch dabei war, versteht die Heimlichtuerei nicht. „Wenn es sachliche Kriterien gibt, dann sollte es auch kein Problem sein, die zu veröffentlichen“, findet er.
Noch sind sämtliche Planungen in der Frühphase; unter anderem müssen Lärm- und Staubemissionen detailliert geprüft werden. Die Bürgerinitiative will währenddessen weiter gegen den Durchstich protestieren. Seit Oktober protestiert sie mit Transparenten an der Nordstraße gegen die geplante Maßnahme und kürzlich gab es eine weitere Aktion: Mit Bio-Kreide hatten die Anwohner den Durchstich auf dem Wall aufgezeichnet. „Wir wollten einfach mal schwarz auf weiß zeigen, wie groß die Kreuzung an dieser Stelle tatsächlich wäre. Denn viele können sich das noch gar nicht vorstellen“, sagt Liermann. Und tatsächlich hätten viele Passanten geschockt reagiert, als ihnen durch die Markierungen die Dimension des Vorhabens bewusst wurde.
Tatsächlich könne der Durchstich auch nach Ansicht der Planer nur dann zur Entlastung der Überseestadt beitragen, wenn es parallel dazu auch den Ringschluss der A 281 gebe, war bei dem Gespräch mit WFB und Gutachtern zu hören. Die Verantwortlichen rechnen damit, dass diese Maßnahme bis 2023 realisiert werde. Auf solche Aussagen mögen sich Hans-Werner Liermann und seine Mitstreiter indes nicht verlassen. „Man hat unsere Befürchtungen schon wahrgenommen und sich überlegt, was man tun könnte“, hat Liermann aber auch registriert. Denn inzwischen steht die Idee im Raum, den Durchstich schmaler zu machen und ihn vom Waller Wied weg und einige Meter weiter in Richtung Innenstadt zu verlagern.
Nachdem die Bürgerinitiative in den vergangenen Monaten aktiv das Gespräch mit sämtlichen Parteien gesucht hat, zieht das Thema nun immer größere Kreise: Die Linksfraktion der Bremischen Bürgerschaft hat kürzlich eine sogenannte Große Anfrage mit insgesamt 24 Einzelpunkten an den Senat gestellt. Unter anderem geht es dabei darum, wie sich die Baumaßnahme auf den Zustand der Hafenrandstraße auswirken würde. Denn die Asphaltdecke auf diesem Straßenzug ist marode und muss dringend erneuert werden; erst kürzlich war dort sogar eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 Stundenkilometer in der Diskussion.
Darüber hinaus wollen die Linken wissen, wie hoch und lang eine Schallschutzwand zwischen Hafenstraße und Heimatviertel tatsächlich sein müsste, um die Anwohner effizient zu schützen. Auch die Frage nach möglichen Schleichverkehren durch Walle stellen die Bürgerschaftspolitiker und erkundigen sich außerdem danach, weshalb der Großmarkt bis heute noch keine Zufahrt von der Eduard-Suling-Straße aus hat. Dadurch würde Verkehr von der Konsul-Smidt-Straße abgezogen.
Seit Ende Oktober läuft darüber hinaus eine Petition der Anwohner. Sie fordern, dass die Hafenstraße, wie 2002 vom Senat beschlossen, für den Verkehr gesperrt wird. Damals war außerdem unter anderem entschieden worden, den Waller Ring aus dem Lkw-Führungsnetz herauszunehmen. Diese Maßnahme ist längst umgesetzt worden.
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