Anfang   1889 – 40er
Aufbruch   50er – 60er
Umbruch   70er – 80er
Ankunft   90er – heute

1889 – 40er

Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bewegte sich viel in Walle. Das Gebiet unterlag einem starken Wandel und vieles Neues entstand – so auch unser Viertel, das „Waller Wied“, dessen Name vom plattdeutschen Wort „Wied“ für Weide herrührt. Eine solche Weidelandschaft befand sich einmal zwischen der Weser und dem Dorf Walle, also auch dort, wo das Viertel „Waller Wied“ liegt.

Von 1884 bis 1888 baute die Stadt Bremen den Frei-Hafen, der am 21. Oktober 1888 eröffnet werden konnte. Einige Jahre später (1901 bis 1906) folgte der Frei-Hafen II und aus dem ersten Hafen wurde der Frei-Hafen I (in alten Stadtplänen wurden die Häfen auch als Hafen I und Hafen II bezeichnet). Ziel war es dabei, den einträglichen, mit der Schifffahrt verbundenen Handel, der sich seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts bedingt durch die Versandung der Weser flussabwärts, zunächst nach Vegesack, dann aber nach Brake und Bremerhaven verlagerte, wieder nach Bremen zu holen. 1938 wurden die beiden Häfen in Europahafen und Überseehafen umbenannt. Zur Eröffnung des Frei-Hafens kam damals sogar der Kaiser nach Bremen.

1888, also im Jahr der Fertigstellung des Frei-Hafens I, wurde die Jute-Spinnerei und Weberei Bremen - die kurz „Jute“ genannt wurde - an der Nordstraße gegründet. Im Gebiet um die Nordstraße und den Steffensweg entstanden neue Straßenzüge um für die Arbeiterinnen der Jute - denn dort arbeiteten vorwiegend Frauen, von denen viele aus Osteuropa kamen - und für die Arbeiter des Hafens, Wohnungen zu schaffen. In diesem Zuge wurde auch das Waller Wied-Viertel zwischen der „Jute“ und der Bogenstraße erbaut. 1887, also kurz vor der Gründung der Jute- Spinnerei und Weberei, gründeten Christoph Hellwig Papendieck und Konsul Johann Smidt den "Gemeinnützigen Bremer Bauverein", der dann das Grundstück westlich der „Jute“ erwarb und bebaute.

Die damalige, vom namhaften Architekten Eduard Gildemeister entworfene Bebauung bestand aus kleinen einstöckigen Häusern, die von bis zu 14 Personen bewohnt wurden. Für die Arbeiterinnen und Arbeiter der Jute war der Wohnraum in diesen Häusern dann aber kaum erschwinglich.

Eine kleine Zahl der einstöckigen Häuser findet man auch heute noch, wenn man durch das Viertel geht. Mit dieser Bebauung folgte man nicht der in anderen Städten bereits verbreiteten Bauweise mit 4- bis 5-stöckigen Mietshäusern. Rückblickend betrachtet war es für dieses kleine, zwischen Fabriken und Hafen gelegene Viertel nur wahrscheinlich, dass hier eine besondere nachbarschaftliche Verbundenheit entstehen musste.

Die Nähe zu den Häfen und zu Fabriken führte dazu, dass Walle im zweiten Weltkrieg häufig Bombenangriffen aus geliefert war. Die Jute wurde mehrfach getroffen, konnte aber bis 1944 einen eingeschränkten Betrieb aufrecht erhalten. Mit dem Feuersturm in der Nacht von 18. auf den 19. August 1944, wurden große Teile des Bremer Westens zerstört. Auch die Jute und angrenzende Wohnhäuser vielen den Angriffen zum Opfer.

50er – 60er

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges war zunächst kein Wiederaufbau des Viertels vorgesehen. Das Gebiet zwischen Nordstraße und Weser sollte Hafenareal werden. Wohnhäuser sollten hier nicht mehr stehen.

Dass es Anfang der 50er Jahre doch anders kam, und dass unser Viertel nach dem Krieg doch wieder entstand, ist im wesentlichen dem Engagement eines Mannes zu verdanken: Peter Falck, der damals in der Heimatstraße wohnte. Ihm gelang es Nachbarn zu einer Aufbaugemeinschaft zu vereinen, die Finanzierung des Wiederaufbaues zu sichern und den damaligen Bausenator Theil dafür zu gewinnen, eine schon vor dem Krieg gewachsene Nachbarschaft wieder zu beleben und einen neuen Grundstein für deren Erhalt bis in unserer Tage zu legen.

Der Wiederaufbau erfolgte auf den alten Grundstücksgrößen mit meist rund 5 Metern Breite, jetzt aber mit einem Obergeschoss und Dachgeschoss. Die neuen Häuser waren als 2-Familienhäuser geplant, in denen ein Geschoss vermietet wurde. Im Waller Wied gab es damals zahlreiche Geschäfte und mehrere Kneipen.

Um das Waller Wied herum einwickelte sich schnell noch weiteres Leben. Die Nähe zum florierenden Hafen ließ schnell das „Klein St. Pauli“ entstehen – Matrosen,  Mädchen, Kneipen, Schlager, Schlägereien und das 17. Polizeirevier bildeten die „Küste“ zum Hafen.

Später musste dieses lebendige Treiben dem Ausbau der Nordstraße und einem Bahndamm – auf dem dann nie ein Zug fuhr – weichen.
Viele der Bewohner arbeiten im Hafen – z.B. als Stauer. Um Arbeitern zu Fuß einen schnellen Zugang zum Hafen zu ermöglichen, führten Tunnel aus dem Waller Wied in den Hafen. So konnte man dort, wo heute ein Weg mit dem Namen „Am Waller Wied“ in die Überseestadt führt, unter dem damaligen Verschiebebahnhof an der Bogenstraße zur Tilsiter Straße hindurch in den Hafen gelangen. Der andere Tunnel führte zur Hafenstraße.

70er – 80er

Im Stadtteil Walle, besonders in Hafennähe und im Hafen selbst, vollzieht sich ein enormer Umbruch. Ausgelöst  durch den Einsatz von Containerschiffe geht der Stückgutumschlag deutlich zurück. Die alten Hafenanlagen des Europahafens und des Überseehafens sind jedoch nicht für den Containerumschlag und für die immer größer werdenden Containerschiffe geeignet. Diese Schiffe laufen nun den Neustädter Hafen an und zunehmend endet ihre Reise bereits in Bremerhaven, wo geeignet, großflächige Container-Terminals errichtet werden.

Der Rückgang der Hafennutzung entzieht auch „Klein St. Pauli“ den Lebensfluss. Die „Kundschaft“ aus Übersee bleibt mehr und mehr aus. Eine in Zeiten des Aufschwunges geplante Umsiedlung „Klein St. Paulis“ in ein Gebiet zwischen der Stephani-Brücke und der Lloydstraße wird nicht mehr umgesetzt.

Dieser Umbruch verändert auch vieles im Waller Wied. Die zahlreichen Geschäfte und auch die meisten Kneipen schließen nach und nach. Im angrenzenden Verschiebebahnhof werden weniger Güterzüge zusammengestellt. Insgesamt wird es ruhiger im Waller Wied und auch die Lebendigkeit schwindet. Der Ausbau der Nordstraße trennt das Viertel noch deutlicher vom Rest Walles ab. Der Begriff „Ghetto“ ist immer öfter zu hören.

In den späten 70er Jahren setzt allmählich eine Veränderung der Bewohnerstruktur ein, die sich später als Keim für neues Leben herausstellen wird. In das ehemalige Arbeiterviertel ziehen nun auch junge Familien. Studenten entdecken das Waller Wied als interessantes Wohnquartier.

Doch auch in dieser Zeit besteht eines weiter bzw. wird durch die jungen, nun hinzugezogenen Familien neu belebt: Der Sinn für ein nachbarschaftliches Miteinander in einem Viertel, das in diesen Jahren den Höhepunkt seiner Abtrennung vom Rest des Stadtteils erlebt. So wir 1979 der Spielplatz Waller Wied e.V. gegründet und 1988 feiern „alt eingesessene“ und neu Bewohner gemeinsam das 100-jähirge Jubiläum des Viertels.

90er – heute

Zu Beginn der 90er Jahre ist im Hafen nicht mehr viel los. Große Teile der Kajen des Überseehafens müssen wegen des schlechten Zustandes gesperrt werden – es besteht Einsturzgefahr. 1992 beschließt der Senat die Umstrukturierung des Freihafengebietes. Eine langwierige Diskussion über die Zukunft des Areals folgt. In den 90er Jahren sinken auch die Belastungen für das Waller Wied durch den Hafen immer weiter und schließlich bringen sie das endgültige Aus für den Überseehafen. Dieser wird 1998 zugeschüttet.

Im Jahr 2001 wird der Masterplan für das ehemalige Hafenareal beschlossen. Auf einem Teil des durch die Zuschüttung des Überseehafens entstandenen Geländes soll ein sehr umstrittenes Bau- und Nutzungsprojekt realisiert werden: Der Großmarkt soll hier angesiedelt werden.

Durch das zu erwartende LKW-Aufkommen und durch die vorgesehene Verkehrsanbindung drohen enorme neue Lärmbelastungen für das Waller Wied-Viertel. Das Überseetor sollte der Planung nach direkt am Waller-Wied verlaufen. Wie schon in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg, als es um den Erhalt des Waller Wieds als Wohnquuartier ging, schließen sich auch jetzt wieder Bewohner des Viertels zusammen. Eine Bürgerinitiative entsteht, die sich für die Belange des Waller Wieds stark macht.

Auf dem ehemaligen Hafenareal entsteht neues Leben: Firmen lassen sich hier nieder, Gastronomie und zahlreiche kulturelle Orte entstehen und die Hochschule für Künste zieht in den historischen Speicher XI ein, der erfreulicherweise von den Abrissbirnen und -Baggern verschont wurde.

Das Waller Wied-Viertel gewinnt ebenfalls an Attraktivität. Es ziehen vermehrt junge Familien hierher, Studenten der Hochschule für Künste und Mitarbeiter der Firmen in der Überseestadt durchqueren das Quartier auf ihren Wegen in die Überseestadt. Auch als Wohnquartier entdecken immer mehr Studenten die attraktive Lage des Waller Wieds – denn schließlich sind die Hochschule für Künste, die Überseestadt, die Innenstadt auch und die Universität von hier aus gut zu erreichen.

Im Laufe der Jahre werden – beginnend mit der Bogenstraße im Jahre 2003 – auch andere Dinge im Waller Wied modernisiert: Die 120 Jahre alte Kanalisation erfährt eine Überholung und in diesem Zuge werden auch die Fahrbahndecken einiger der Straßen erneuert – zwar geht mit dem Austausch des alten Kopftsteinpflasters durch eine Asphaltdecke auch ein Teil Historie, doch zugleich sorgt dies für eine weiteren deutlichen Verringerung der Lärmbelastung in den Straßen.

Auch der Europahafen hat seine Ursprüngliche Aufgabe abgeschlossen. Seit 2011 hat er nun eine Marina und im Jahre 2013 wurde er zum Freizeithafen.
Aber es gibt auch Dinge, die bleiben: Eine der alten Kneipen – der heutige Aphro's Treff – hat es nachdem sie nach mehreren Betreiberwechseln Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre nun schon wieder rund 3 Jahrzehnte in einer Hand ist, bis in unsere Zeit geschafft und diente jüngst sogar dem Fernsehen als Drehort für eine Tatort-Folge.